Digitale Transformation in der Produktion AWS schiebt Industrie 4.0 bei Dürr Systems an

Von Michael Matzer

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Die Dürr Systems AG hat im Hinblick auf Industrie 4.0 und Edge Computing sein monolithisches Manufacturing Execution System (MES) zerlegt und in eine Microservices-Architektur überführt, die in einer Hybrid-Cloud betrieben wird. Das große Transformationsprojekt dürfte erst Ende 2023 abgeschlossen sein.

Bei Dürr Systems vollzieht sich gerade der Kurswechsel von einer monolithischen IT zu einer modernen Industrie-4.0-fähigen Cloud-Architektur: Die eigenen DXQ-Softwarelösungen ermöglichen einen signifikanten Anstieg der Gesamtanlageneffektivität.
Bei Dürr Systems vollzieht sich gerade der Kurswechsel von einer monolithischen IT zu einer modernen Industrie-4.0-fähigen Cloud-Architektur: Die eigenen DXQ-Softwarelösungen ermöglichen einen signifikanten Anstieg der Gesamtanlageneffektivität.
(Bild: Dürr Systems AG)

Die Dürr Systems AG ist ein weltweit führender Maschinen- und Anlagenbauer für Branchen wie die Automobilindustrie und Hersteller für Software in der Produktion. Dürr vereint seine Softwareprodukte unter dem Namen DXQ. Die Produkte verbinden die hohe Softwarekompetenz der Entwicklung der Digitalen Fabrik mit dem Know-how von Dürr in der Produktionstechnik und den Fertigungsprozessen.

Zu den Bereichen, in denen der Konzern, zu dem auch Schenck und Homag gehören, tätig ist, gehören u.a. Automotive und Robotik. „Des Weiteren bietet Schenck Dienstleistungen in den Bereichen Messen und Befüllen, und Homag stellt Holzbearbeitungsmaschinen her“, berichtet Markus Hummel, Senior Manager MES und IIoT bei Dürr Systems. „Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist für uns in allen Konzernbereichen sehr wichtig.“ Der Umsatz des Konzerns lag 2021 bei 3,5 Milliarden Euro. Dürr beschäftigt derzeit rund 17.800 Mitarbeiter.

„Neben der erwähnten Nachhaltigkeit“, so Hummel weiter, „gehörten zu den Zielen der MES-Migration (MES: Manufacturing Execution System) die Flexibilität in einer Microservices-Architektur für die Anwendungsfälle Qualitätskontrolle, Predictive Maintenance und Analytik.“ Künftig soll auch AGV-Steuerung (AGV: Automated Guided Vehicle) hinzukommen. Schon an dieser To-do-Liste lässt sich erahnen, wie umfangreich und ambitioniert das Gesamtprojekt ist.

Industrie 4.0 versus Legacy-IT

Aber damit stehe Dürr keineswegs allein in der deutschen Industrie, erläutert Jan Metzner, ein Spezialist für Manufacturing beim Cloud Service Provider AWS. „Im Bereich Industrie 4.0 finden sich zahlreiche Herausforderungen an eine meist monolithische Legacy-IT-Architektur. Neben den zunehmend komplexer werdenden Aufgaben der Datenzugriffskontrolle, des Datenmanagements, der Datensicherheit, Compliance und Governance – besonders wichtig für alle Belange der Nachhaltigkeit – tritt die Anforderung, flexibel und kosteneffizient skalierbar zu sein, sowohl im Storage- als auch im Compute-Bereich.“

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Markus Hummel, Senior Manager MES und IIoT bei Dürr Systems.
Markus Hummel, Senior Manager MES und IIoT bei Dürr Systems.
(Bild: © Marcus Pietrek 2018)

Diese Anforderungen lassen sich noch mit einer hybriden IaaS-Cloud bewältigen, die zugleich hilft, die operativen Kosten zu senken: Der Cloud-Dienstleister, in diesem Fall AWS, übernimmt den Großteil der Hardware- und Datenhaltungskosten, wobei er die Abrechnung für die Nutzung völlig transparent gestaltet. Laut der aktuellen „AWS Impact Studie Deutschland“ des Marktforschers IW Consult nutzen rund 48,5 Prozent der AWS-Kunden in Deutschland dieses Modell. Richtig konfiguriert, kann dies die Betriebskosten erheblich senken: „Die Schnittstellen sind meist standardisiert und dämpfen die Entwicklungskosten für neue Anwendungen, die sich mit den Anwendungen der Geschäftspartner koppeln lassen“, so Metzner weiter. Diese Anwendungsintegration ist für Dürr ein wichtiger Aspekt, denn laufend müssen Daten mit den Kunden und Partnern ausgetauscht werden.

Die Anforderung „Entscheidungsfindung in Echtzeit“ ist ein größeres Kaliber. Sie erfordert nämlich die Verarbeitung von strukturierten Datenbankdaten und von unstrukturierten Sensor- und Multimediadaten in einem heterogenen System. Diese Analyse-Infrastruktur soll die Basis für Machine Learning Modelle für Predictive Analytics (s.o.) und – meist automatisierte – Entscheidungsfindung in Echtzeit bilden.

Um diese analytische und steuernde Ebene realisieren zu können, benötigte Dürr Systems neben eigenen fachlichen Experten auch Infrastruktur-Experten und fand diese bei AWS. Das Manufacturing Operations Management liegt jedoch bei der Digital Factory der Dürr Systems AG. „Wozu überhaupt die Cloud nutzen, mag man sich fragen“, ergänzt Hummel. Die Antwort ist ganz einfach: „Unsere Kunden wollen dorthin.“ Die Gründe seien bessere Skalierbarkeit, verbesserte Redundanz, erhöhte Datensicherheit und schließlich Failover, also Ausfallsicherheit. Ein Unternehmen kann sich heute keine lange Ausfalldauer mehr leisten.

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Das bestehende MES bei Dürr Systems.
Das bestehende MES bei Dürr Systems.
(Bild: Dürr Systems AG)

Im bisherigen System existierten das MES-System und mehrere SCADA-Systeme (ICS) in einer Legacy-Architektur, die für mehrere Anwendungen genutzt wurde (SCADA: Supervisory Control and Data Acquisition zur Steuerung technischer Prozesse in der automatisierten Fertigung). „Sie bilden das Rückgrat einer Fabrik: Steuerung, Überwachung und Berichtswesen“, erläutert Hummel. Das MES erledigt die Aufgaben des Nachverfolgens, der Dokumentation und der Planung des Produktionsprozesses. Die darunter liegende SCADA-Schicht erfasst alle Daten, untersucht und visualisiert sie.

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Das Human Machine Interface (HMI) schließlich hat die Aufgabe, die Betriebsstätte zu visualisieren, etwa in einem Dashboard, sowie menschliche Steuerungsmaßnahmen entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Das alles hat bisher – wie bei vielen anderen Unternehmen mit Legacy-IT – reibungslos funktioniert, doch für die gewachsenen Ansprüche und neuen Technologien ist diese Architektur nicht ausgelegt.

Hybrid Cloud mit Microservices- und Container-Architektur

Das MES, an das ein ERP- und ein PLM-System angeschlossen sind, wurde inzwischen in eine hybride Cloud-Architektur migriert. Das heißt, eine signifikante Prozessebene wird immer noch im Anlagennetzwerk ausgeführt: sämtliche Datenströme, auf die das Edge Gateway zugreift, kommen hier an, um aggregiert und gepuffert zu werden. Edge HMI führt Visualisierungs- und Steuerungsfunktionen usw. aus. Lokalisierte Microservices, die mithilfe von „Amazon Elastic Kubernetes Service (EKS) Anywhere“ ausgeführt werden, sind auf dieser Ebene tätig. Edge Gateway und EKS sind mit der Public Cloud verbunden.

Das Ergebnis der MES-Migration ist eine flexible Microservices-Architektur, die Edge Computing realisieren kann.
Das Ergebnis der MES-Migration ist eine flexible Microservices-Architektur, die Edge Computing realisieren kann.
(Bild: Dürr Systems AG)

„Unsere Vorgehensweise besteht in der Migration von einem Anwendungsmonolithen zu einer Microservices- und Container-Architektur sowie die Nutzung von DevOps und DataOps“, erläutert Hummel. „Diese flexible Microservices-Architektur kann Use-Case-basiert genutzt werden und lässt sich leicht mit anderen Anwendungen und Services integrieren.“ Die Ebene der Public Cloud nutzt „Amazon Elastic Kubernetes Service“, um die Microservices-Architektur auf Container-Ebene steuern zu können.

Hinzukommen Amazon Managed Streaming for Apache Kafka (MSK) zur Verarbeitung von Edge-Datenströmen und als Integrationsdrehscheibe, Ereignisüberwachung und Warnmeldungen mit Amazon OpenSearch, Logdatensammlung und -Visualisierung mit Kibana und der Datenbankservice Amazon RDS. Wenn die Daten sich an einer Stelle befinden, lässt sich u.a. Energy Management einfacher ausführen, was besonders für die Nachhaltigkeit wichtig ist. Ein ebenso wichtiger Aspekt ist die flexiblere Produktion.

Machine-Learning-Modell mit Python

„Unsere Erfahrungen mit Amazon EKS und EKS Anywhere sind durchweg positiv gewesen, sowohl beim Deployment als auch in der Bedienbarkeit“, berichtet Hummel. „EKS Anywhere hat sich nahtlos in die lokale Architektur eingefügt.“ Es gibt eine Schnittstelle zu den externen Anwendungen ERP und PLM.

Für Machine Learning nutzte Hummels Team lediglich Googles klassische Python-Toolchain für die Entwicklung von Machine-Learning-Modellen. „Diese Modelle werden am Edge mit eigenem Deployment der Modelle in Betrieb genommen.“ Das Deployment funktioniert laut Hummel in der nächsten Produktgeneration auch komplett in der Cloud. Die Fertigstellung des Migrationsprojekts ist für Ende 2023 geplant.

„Warum AWS, mag sich mancher fragen“, sagt Hummel. „Erstens ist AWS ein starker Partner und zweitens wird AWS bei unseren größten Kunden bereits in der Produktion eingesetzt, was eine rasche Umsetzung von neuen Use Cases ermöglicht. Bei uns stellt AWS das Framework ‚AWS for Industrial‘ bereit.“ Dazu kommen weitere IIoT-Services wie Amazon Lookout for Equipment, AWS IoT Core und weitere Dienste.

Erzielte Vorteile durch Cloud-Nutzung

Markus Hummel fasst die mit der Hybrid Cloud und Microservices-Architektur erzielten Vorteile zusammen. „Jetzt haben wir in der Infrastruktur keine lösungsspezifische Hardware-Installation mehr und die Skalierung sorgt für Ausfallsicherheit, was für uns sehr wichtig ist.“ Auch wenn das MES jetzt durch die Microservices-Architektur etwas unübersichtlicher aussehe, so sorge die Aufspaltung in On-Premises-Services einerseits und cloud-basierte Services für eine reduzierte Komplexität des Systems und eine höhere Stabilität der Anwendungen. Die Installation und Inbetriebnahme neuer Anwendungen gehe schneller.

Die neue Architektur bietet mehr Datensicherheit. Im Anwendungsmonolithen lagen alle Daten auf einer Lokation, doch nun lassen sich Datenspeicher durch Zugriffskontrolle und Netzwerksegmentierung zusätzlich schützen, was sowohl der Governance als auch der Compliance hilft. Die Cloud-Nutzung hat also nicht Daten gefährdet, sondern sie vielmehr besser geschützt.

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Weil die Architektur nun modular und flexibel in der Hybrid Cloud aufgebaut ist, lassen sich neue bzw. andere Funktionen leichter für verschiedene Use Cases integrieren. Von dieser Integrationsfähigkeit profitieren laut Hummel auch die Kunden und Partner der Dürr Systems AG. Die Analysefähigkeiten auf einer Open-Source-Basis zu realisieren, verleiht den Data Scientists mehr Freiheit. Produkte lassen sich einfacher in verschiedenen Umgebungen installieren, passend zu den unterschiedlichen Strategien der Kunden.

Entwicklungsleiter Hummel gibt kleinen und mittelgroßen Firmen den Tipp, dass sie gerade zu Beginn eines Projekts nur wenig investieren müssen. „Sie bringen von Anfang an das nötige Branchen- und Fachwissen ein und haben später die volle Kontrolle, wenn sie den Betrieb der Cloud Services verwalten.“

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